Monday, March 24, 2014

„Für die Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel!“: Käthe Leichter, die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und Reproduktionsarbeit






Käthe Leichter – Sozialistin, Austromarxistin uns Widerstandskämpferin – zählt zu den aller ersten Frauen Österreichs die Volkswirtschaft studiert haben. Aufgrund der engen Verknüpfung ökonomischer und frauenspezifischen Fragestellungen in ihrer politischen und theoretischen Arbeit kann sie zu recht als erste feministische (studierte) Ökonomin bezeichnet werden.

Eine Fragebogenuntersuchung über Lohnarbeit, Hausarbeit und Freizeit zur Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise 1931

Die auf einer Fragebogenerhebung basierende Studie von Käthe Leichter „So Leben Wir … . 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“ ist aus zwei Gründen bemerkenswert: 1) Aufgrund des Zeitpunkts der Erhebung 1931 – inmitten der Finanz- und Wirtschaftskrise, kurz nach dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt – handelt es sich um ein wichtiges Dokument der Wirtschaftskrise. 2) Die breite Themensetzung: Im Zentrum der Betrachtung steht nicht nur die Arbeiterin in der Fabrik, sondern ebenso die Haus- und Reproduktionsarbeit sowie die Freizeit. Die Ergebnisse der Studie sind mit den Bildstatistiken Otto Neuraths illustriert, somit findet sich hier auch die ersten bildstatistischen Darstellungen über Umfang und Verteilung der Hausarbeit auf verschiedene Haushaltsmitglieder.
Eine derartige Gleichgewichtung und Verknüpfung der Lebensbereiche – Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Freizeit – im Rahmen sozio-ökonomischer Studien findet sich erst im Zuge der zweiten Frauenbewegung wieder und ist selbst bei heutigen Krisenanalysen noch eine Rarität.

Belastung mit Hausarbeit

"Unerträglich lange scheint den meisten Arbeiterinnen die Zeit, die sie in der Fabrik verbringen. Und doch ist auch diese Zeit nur ein Teil ihres Arbeitstages. Zu Hause harrt ihrer der zweite Arbeitstag!" S. 45.

"Der zweite Arbeitstag der Arbeiterin wird im Haushalt verbracht. Kochen nähen, waschen, einkaufen, Kinder versorgen - …, die ihren Arbeitstag verdoppeln und verdreifachen." S. 78

"[...] fast die Hälfte der Arbeiterinnen hat die Hausarbeit ohne jede Hilfe zu leisten [...]" S. 82
Hilfe gibt es am Häufigsten von Mutter oder Schwiegermutter (52%), vom Mann in etwa gleich häufig wie von den eigenen Kindern oder Geschwistern (14%).

"Sich untertags hinlegen, ausruhen – das gibt es vielleicht für Damen, für Arbeiterinnen gibt es das nicht." S. 85.

Ein Fragenblock der Erhebung richtet sich nach weiteren Wünschen, Bedürfnissen bezüglich der Hausarbeit und hinsichtlich der Akzeptanz bestehenden Einrichtungen (u.a. Kindergärten, Waschküchen), die zu einer Erleichterung der Reproduktionsarbeit beitragen sollen. Käthe Leichter geht ihn ihrem Text, basierend auf den Antworten der Befragten, sehr ausführlich auf die Widersprüchlichkeiten und Probleme mit den Ansätzen einer Kollektivierung der Haus- und Reproduktionsarbeit ein.

In Bezug auf die Kindergärten werden von den Befragten Frauen beispielsweise folgende Problembereiche genannt: Öffnungszeiten, wer soll die Kinder in der Früh hinbringen? Kinder können sich viel leichter von anderen Kindern anstecken. Wer kümmert sich um die Kinder wenn sie krank sind?

Auch nach dem Einküchenhaus wurde im Fragebogen explizit gefragt. Die Antworten fielen aber, für jemand die/der dieses Projekt für befürwortenswert hält enttäuschend aus. Zum einen war es vielen der Befragten gar nicht bekannt bzw. herrschten recht ungenaue Vorstellungen darüber was das Einküchenhaus eigentlich ist. Aus diesen ungenauen Vorstellungen begründete sich zumindest ein Teil der ablehnenden Haltung. Insgesamt stieß das Projekt bei den Befragten auf wenig Gegenliebe. Hier einige Antworten auf die Frage „ Für welche Einrichtungen des Haushalts sind sie (Zentralisierung, Einküchenhaus)?:

Das wäre ein Traum, wenn er nicht so teuer käme

Das Einküchenhaus ist noch undiskutabel“,

Man muss dort essen, was man kriegt„, „Ich zieh selbst gekochtes vor.

Wenn ich einmal in keine Arbeit gehen würde, dann hätte der Haushalt die große Erleichterung.“

In ihrer Untersuchung geht Käthe Leichter unter anderem auf folgenden krisenbezogenen Themenkomplexe ein. In gegenwärtigen Untersuchungen zur aktuellen Krise werden diese Themenfelder nach wie vor kaum behandelt.

  • Familiäre Netzwerke als Auffangnetz in Krisenzeiten
  • Veränderung von Geschlechterrollen und Rollenverhältnissen aufgrund der Krise
  • Die Frau in der Familie wird aufgrund der Krise immer öfter zur Ernähererin

War die Frau vor dem Krieg oft zusätzliche Verdienerin, ist sie durch den Krieg und den Frauenüberschuß der Nachkrieszeit immer öfter zur Selbsterhalterin geworden – die Krise macht sie immer mehr zur Familienerhaltern.“ S. 102.

Aber die große Familie ist nicht mehr wie einst die große Zuflucht, der Rückhalt für die arbeitende Frau. ... Keine größere Familie, in der sich heutzutage nicht traurige Schicksale und Sorgen häufen. Die große Familie ist heute weit öfter Belastung als Rückhalt für die arbeitende Frau.“ S. 76


Selbstorganisierung – Was, wer ist das Selbst bei der Selbstorganisierung, wie groß oder klein ist das Kollektiv auf das das Selbst referiert? Wie ist es strukturiert?. Innerhalb der (sozialdemokratischen Arbeiterbewegung) waren es zumindest Vereine (Arbeiterbildungsvereine aus denen die Volkshochschulen entstanden sind, Flamme, Kinderfreunde, … fast alle Bereiche des Lebens), Konsumgenossenschaft.

Das rote Wien und die Vergesellschaftung von Hausarbeit, oder Staatliche finanzierte kollektive Versorgungseinrichtungen ja – Geschlechterkampf in der Familie nein!

Die Sozialdemokratie war bezüglich der Gleichstellung der Frau bzw. der „gerechten“ Verteilung von unbezahlter Hausarbeit von ambivalenten bzw. gegenläufigen Meinungen geprägt. Die durchaus patriarchale Position verdeutlicht sich beispielsweise in einem Zitat von Otto Bauer, in dem er beschreibt, wie die täglichen Mühen und Lasten der Hausarbeit den Arbeiter – er bezieht sich hier explizit auf den männlichen Arbeiter- davon abhält sich entspannen oder weiter bilden zu können.Im Fokus der Sorgen Otto Bauer stand weniger die Arbeitsbelastung der Frau, als die gestörte Abendruhe des Arbeiters.

In den ersten Jahren der Ehe war diese Wohnung mit Kindern gefüllt, die nacheinander kamen … und ... noch Bettgeher drin. Und sagen sie mir, ob der Arbeiter der nach seiner Arbeit nach Hause kommt, irgendwas und irgendwie die Möglichkeit hat, je auch nur eine Minute allein zu sein, auch nur eine Minute Ruhe zu haben … je einmal etwas lesen zu können, und wenn es auch nur die Zeitung wäre. Das ist ganz unmöglich … wenn man acht Stunden gearbeitet hat und müde ist, und die Kinder schreien und Wäsche gewaschen wird, und noch der Bettgeher das ist das ist nicht auszuhalten. … . Da gibt’s nur eins: ins Wirtshaus gehen!“

Ziel der österreichischen Sozialdemokratie dieser Zeit war der Aufbau eines sozialistischen Staates; dies implizierte einen Bruch mit dem Kapitalismus – Austromarxismus Otto Bauers (Linzer Parteiprogramm) – insofern war es keine anti-staatliche Politik perse, sondern eine, die sich gegen den bürgerlichen Staat richtete und für den Aufbau eines Arbeiter(innen)staates eintrat. Die Macht der Unternehmen sollte unter anderem durch die Gründung von Konsumgenossenschaft geschwächt werden. Im Frauenteil, des für damalige Zeit sehr fortschrittlichen und von Therese Schlesinger mitverfassten, Linzer Parteiprogramms von 1926 wurde unter anderem folgende Forderungen aufgestellt:

Verbot der Frauenarbeit in allen dem weiblichen Organismus besonders schädlichen Berufen; freier Zutritt der Frauen zu allen anderen Berufen und zu allen Verwendungen innerhalb der Berufe; gleiche Möglichkeit der beruflichen Ausbildung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Erleichterung der Haushaltsarbeit durch zweckdienliche Einrichtungen im Rahmen des gemeinnützigen Wohnungsbaues, Erleichterung der Arbeitslast der Mütter durch Errichtung öffentlicher Tagesheimstätten für schulpflichtige, vorschulpflichtige und Krippenkinder. Rechtliche Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen.

Zur Erleichterung der Hausarbeit (der Frauen) wurden im roten Wien folgende Maßnahmen, zumindest in den neu errichteten Gemeindebauten umgesetzt:

  • öffentliche Kindergärten
  • Waschküchen in den Gemeindebeuten
  • Erleichterungen im Privathaushalt ergaben sich über Strom und Wasser in der Wohnung, mehr Platz,
  • Wohnungen für allein lebende (u.a. für allein lebende Frauen)
  • Ein weiteres Element dass eng mit dem Komplex der Reproduktion verbunden war, war die Politisierung des Konsums. Durch die Gründung von Konsumgenossenschaften sollte die macht von Unternehmen untergraben, die Konsumgüter durch die Ausschaltung von ZwischenhändlerInnen günstiger gemacht und die Macht der KonsumentInnen gestärkt werden.

Zur Umsetzung dieser Vorhaben wurden in Wien eigene Steuern - benannt nach dem damaligen Finanzstadtrat Hugo Breitner – die Breitner Steuern,eingeführt. Diese umfassten beispielsweise die Wohnbausteuer (die teuersten 0,5% der Objekte erbrachten 44,5% der Gesamtleistung) sowie verschiedene Luxussteuern (Autos, Pferde, Hauspersonal, Vergnügen, Luxusartikel) die für Sozialprogrammen zweckgebunden waren. Bezüglich dieser Steuern meinte Hugo Breitner:

Luxus und Vergnügen zu besteuern, um die Aufziehung eines körperlich gesunden, geistig freien, lebenstüchtigen und lebensfrohen Geschlechtes zu ermöglichen, ist der Grundgedanke der sozial-demokratischen Gemeindepolitik.


Breitner Steuer

Wohnbaupolitik war eines der zentralen Themen des roten Wiens, heute spielt sie in der Sozialdemokratie kaum noch eine Rolle; Arbeitsmarktpolitik wird mit Sozialpolitik gleich gesetzt.



Käthe Leichter
Bis zum Verbot, Auflösung und Verfolgung durch den Austrofaschismus im Jahr 1934 war Käthe Leichter in der sozialdemokratischen Arbeiterpartei aktiv und anschließen im Rahmen der von ihr mitbegründeten revolutionären Sozialisten im Untergrund tätig. 1940 wird sie verraten, in das Frauenkonzentrationslage Ravensbrück deportiert und 1940 im Zuge eines Euthanasieprogrammes in der Anstalt Bernburg/Saale ermordet. Ihr Studium in Wien war ihr, da Frauen auf der juridischen Fakultät erst 1919 regulär zugelassen wurden, nur über eine Sondergenehmigung möglich. Die Promotion wurde ihr dennoch verweigert, so dass sie nach Heidelberg zu Max Weber ausweichen musste. Nach ihrem Studium war sie u.a. bei Otto Bauer in der Staatskommission für Sozialisierung tätig und Fragen nach konkreten wirtschaftlichen Alternativen zum Kapitalismus werden sie bis in die 1930er Jahre begleiten. Entsprechend ihrer Funktion als Leiterin des Frauenreferats der Arbeiterkammer Wien, welches sie 1925 gegründet hatte, liegt einer ihrer Themenschwerpunkte beim Arbeitsleben der Frau. Innerhalb dieser Funktion führte sie gemeinsam mit anderen die 1931, Studie „So Leben Wir … . 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“ durch.



Literatur:

Knittler, Käthe: Käthe Leichter und die Wirtschaftskrise, Kurswechsel 4/2013. Kurzfassung unter http://www.arbeit-wirtschaft.at/servlet/ContentServer?pagename=X03/Page/Index&n=X03_0.a&cid=1384551697084


Leichter, Käthe (1932): „So Leben Wir … . 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“, Wien.


Steiner, Herbert (Hg.) (1997): Käthe Leichter. Leben, Werk und Sterben einer österreichischen Sozialdemokratin. Wien.

1 comment:

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